Prüfungsangst kennt jeder von uns, vom Schüler bis zum Erwachsenen. Es ist also kein Phänomen, das nur in der Schule vorkommt, z. B. vor einer Klassenarbeit oder mündlichen Prüfung. Immer dann, wenn wir in einer Situation sind, die von uns als Bedrohung wahrgenommen wird und in der es auf unsere Leistung ankommt, entsteht Prüfungsangst.
Ich hatte dieses unangenehme Gefühl vor Kurzem noch und das, obwohl ich mich häufig in meiner Arbeit mit dem Thema Prüfungsangst beschäftige. Da sollte ich doch eigentlich frei von dieser Nervosität sein, oder? Weit gefehlt!
Im letzten Jahr habe ich einen für mich besonderen Auftrag erhalten: Das Entwickeln einer digitalen Lernreise mit dem Titel „Lernen können“ für Berufstätige. Darüber werde ich noch ausführlich in einem anderen Blogartikel erzählen, denn jetzt geht es mir erst einmal um etwas anderes.
Ein Teil des Konzeptes war das Aufnehmen mehrerer Videos für den Kurs, die dann von den Teilnehmern angeschaut werden konnten. Es war genau geplant, wann welche Videos gedreht wurden, mit einem professionellen Filmteam und einer angemieteten Location. Die Texte habe ich mir im Vorhinein gut überlegt und bin diese mehrmals durchgegangen – schließlich weiß ich ja: Vorbereitung ist das A und O.
Da ich frei sprechen sollte, also ohne Teleprompter oder andere Hilfsmittel, hatte ich mich besonders gut vorbereitet und war sicher, meine Texte in- und auswendig zu kennen. Dementsprechend war ich voller Vorfreude. Auch deshalb, weil das Ganze neu für mich war und ich es liebe, neue Dinge auszuprobieren, bei denen ich etwas dazulernen kann.
Tja, was soll ich sagen? Als ich vor Ort war, überkam mich die totale Prüfungsangst! Ich wurde richtig nervös, konnte nichts essen, fing an zu zittern und vergaß teilweise meinen Text. Da war es nicht förderlich, dass es zu Beginn noch einige Zeit gebraucht hat, das Set umzubauen. Das Warten hat alles noch schlimmer gemacht.
Um es vorwegzunehmen: Letztendlich sind die Videos toll geworden und wir hatten alles recht zügig im Kasten.
Zum einen habe ich mir gut zugeredet und mich auf meine Fähigkeiten verlassen. Schließlich kann ich vor bis zu 100 Personen ohne Probleme reden. Die Projektleitung hat mich ebenfalls mit vielen positiven Worten unterstützt. Ich habe gefragt, ob man bemerken würde, dass ich zittere und mir ein Feedback eingeholt, ob dies sichtbar ist. Denn das war für mich eine wichtige Erkenntnis. Wir wirken nach außen hin oft anders als wir uns selbst fühlen. Und ich habe bewusst geatmet, mich bewegt und den Text im Kopf aufgesagt. So habe ich den Fokus von meiner Angst auf etwas anderes gelenkt, um den Stress abzubauen. Denn das Gehirn kann entgegen dem gängigen Multitasking-Mythos immer nur eines: Angst haben oder Text aufsagen. Warum Multitasking eine Illusion ist, habe ich übrigens in einem früheren Blogartikel (Wie kann ich meine Konzentration beim Lernen steigern?) erklärt, falls Sie es noch einmal nachlesen möchten.
„Prüfungsangst ist eine spezielle Erscheinungsform von Angst in Leistungssituationen, wenn die Situation als Bedrohung wahrgenommen wird.“ (vgl. Neubauer 2000, S.7) (Stangl, 2022).
Prüfungsangst ist fast immer eine Bewertungsangst, bei der unser Selbstwert infrage gestellt wird. Wir werden danach beurteilt, was wir können, was wir wissen, was wir sind, wie gut wir mit etwas umgehen etc. Das Urteil anderer Menschen ist den meisten von uns – bewusst oder unbewusst – wichtig und wir möchten auf keinen Fall versagen oder „dumm dastehen“. Es ist uns peinlich, beim Nicht-Wissen ertappt zu werden oder bei etwas, das wir nicht gut können.
Die Liste ist lang und die Symptome äußern sich bei jedem Menschen unterschiedlich. Prüfungsangst hat nicht DIE eine Symptomatik, allerdings gilt für alle Situationen, in denen wir sie fühlen: Es geht meist nicht um die Konsequenzen der Prüfung, sondern um die Konsequenzen für die Selbstachtung und das Selbstbild.
Mir ist es besonders wichtig, die Angst nicht zu beseitigen, sondern zu begrenzen.
Ein gewisses Maß an Nervosität ist nämlich sogar hilfreich. Denn dann sind wir hoch konzentriert und hellwach. Schwierig wird es, wenn uns die Angst oder der Stress blockiert, also handlungsunfähig macht. In der Regel möchte die Angst etwas Gutes für uns. Da lohnt sich ein genauerer Blick.
Was nicht so hilfreich ist, sind negative Redensarten wie:
Ebenfalls kontraproduktiv ist negative Sprache, z. B.
Positive Redensarten und eine positive Sprache muntern hingegen auf und das Positive motiviert dazu noch. Also: Wenn Sie negative Gedanken haben, ersetzten Sie sie durch positive. Ein positiver innerer Dialog führt irgendwann dazu, dass das Gehirn es als Tatsache abspeichert – auch wenn man im Grunde nicht zwingend daran glaubt.
Besonders liebe ich in dem Zusammenhang das Wort „NOCH“: Ich kannst das noch nicht.
Sein Gehirn abzulenken funktioniert nicht nur bei Prüfungsangst, sondern auch in anderen Stresssituationen, etwa beim Zahnarzt. Ich persönlich singe immer innerlich, wenn die Angst bzw. Nervosität aufsteigt. Oder ich fokussiere mich auf etwas anderes wie ein Bild an der Wand oder die Anzahl der Deckenplatten im Raum. Alles, was das Gehirn beschäftigt, lenkt von der Angst ab. Und Angst ist im Grunde nichts anderes als eine Reaktion auf Stress.
Warum hat mich der Videodreh gestresst? Es war eine vollkommen neue Situation für mich. Keine Routineangelegenheit, in der ich Erfahrung habe. Das hat mich verunsichert und dementsprechend Stress und Ängste verursacht.
„Stress ist die Auswirkung von Belastungen auf einen lebenden Körper.“ (Gert Kaluza – Psychotherapeut)
„Es sind nicht die Dinge oder Ereignisse an sich, die uns beunruhigen, sondern es sind die Einstellungen und Meinungen, die wir zu den Dingen haben.“ (Epiktet – Philosoph)
Stress ist eine Reaktion auf eine vom Gehirn wahrgenommene Bedrohung. Dabei macht unser Gehirn keinen Unterschied, ob es sich um eine reale Bedrohung handelt (ein Beispiel aus der Steinzeit: die Angst vor einem Säbelzahntiger) oder um eine nicht reale, bzw. Bedrohung, die nicht unser Leben bedroht, wie eine Prüfung oder Zeitdruck.
Hört sich ulkig an, ist aber seit der Steinzeit bis heute DIE Antwort unseres Gehirns auf alles, was ihm Angst macht. Übertragen auf eine Prüfung steht flüchten stellvertretend für gar nicht erst antreten, totstellen steht für den Black Out und kämpfen für den Lehrer beschimpfen.
An dieser Stelle möchte ich kurz auf das Thema Black Out eingehen. Meiner Ansicht nach gibt es so etwas nämlich nicht. Man hat lediglich eine Blockade (ein Brett vor dem Kopf), die das Wissen tief vergräbt. Es ist also nicht weg, sondern noch da – man kommt nur gerade nicht dran.
Es gilt, dieses „verdeckte“ Wissen wieder hervorzuholen. Das kann man gut mit einem Brainstorming machen: Was weiß ich zu dem Thema, losgelöst von der Aufgabenstellung? So kommt man ins Tun und merkt, dass man doch noch etwas weiß und kann. Die Blockade löst sich dann meist nach und nach von alleine auf.
Weitere wirksame, effektive Tipps und Methoden im Umgang mit Prüfungsangst und Stress gebe ich auch in meinen Kursen und Workshops weiter.
Sie werden merken, wie hilfreich diese Techniken auch im Alltag sind. Denn Stress begegnet uns immer wieder einmal und wir können ihm am besten etwas entgegensetzen, wenn wir die Mechanismen verstehen und dementsprechend reagieren.
Möchten Sie mehr zu dem Thema erfahren oder kennen Sie jemanden, der unter extremer Prüfungsangst leidet? Ich biete auch Workshops an Schulen an, z. B. im Rahmen einer Projektwoche oder im Vorfeld von Prüfungszeiten.